Ich wusste es. Ich hatte es herausgefunden.
Lucy Standon war nicht echt. Nicht ihr Name, nicht ihr Leben, nicht die Rolle, die sie spielte.
Sie war jemand anderes. Jemand, der seinen echten Namen vor langer Zeit abgelegt hatte. Und ich werde ihn hier nicht schreiben – nicht aus Respekt, nicht aus Angst, sondern aus einem simplen Grund: Sicherheit.
Denn das ist das Erste, was man lernt, wenn man einmal tief genug in diesem Spiel steckt – Identitäten sind flüchtig. Namen sind Hüllen, austauschbar, anpassbar, genau wie die Spuren, die man hinterlässt. Wenn du gut genug bist, kannst du sein, wer immer du willst.
Und Lucy Standon? Sie war nie eine Lehrerin.
Sie war Vortex.
Die Erkenntnis hat mich härter getroffen, als ich zugeben will.
Vortex war ein Name, den ich kannte, lange bevor ich wusste, wer dahintersteckte. Vortex war mehr als nur eine Hackerin. Sie war eine Legende.
Nicht, weil sie die größten Hacks durchgezogen hatte. Nicht, weil sie reich geworden war, Daten verkauft oder Systeme lahmgelegt hatte. Sondern weil sie irgendwann einfach aufgehört hatte.
Und genau das hatte sie unsterblich gemacht.
Jede*r in der Szene wusste von ihr, aber niemand wusste, warum sie verschwand. Es gab Theorien, unzählige. Manche dachten, sie wäre erwischt worden. Andere, dass sie für irgendeine Regierung arbeitete. Oder dass sie so tief untergetaucht war, dass sie für uns alle nur noch ein Geist war.
Die Wahrheit war einfacher.
Sie hatte sich entschieden, das Spiel zu verlassen.
Und genau das war der Punkt, an dem ich zum ersten Mal wirklich gezweifelt habe.
Vortex hatte nie für Ruhm gearbeitet, nie für Geld, nie für das Chaos. Sie hatte ihre Arbeit getan und dann einen Schlussstrich gezogen.
Ich hingegen? Ich war noch mittendrin. Und zum ersten Mal fragte ich mich: Warum eigentlich?
Ich hatte immer gedacht, dass ich wusste, was ich tat. Dass ich eine Richtung hatte. Dass es richtig war. Aber wenn sie ausgestiegen war, wenn sie, die Größte von allen, erkannt hatte, dass es eine Grenze gab – warum sah ich sie dann nicht?
Oder schlimmer: Warum hatte ich sie längst überschritten?
Ich hätte vielleicht aufhören können. Vielleicht.
Aber das Problem war: Das Spiel war bereits im Gange.
Und ein Spiel, das einmal begonnen hat, lässt sich nicht einfach so stoppen.
– Tara